Ausgabe 28

In dieser Ausgabe: Evgeny Beleninov im Youtube-Fund der Woche, Album der Woche von Leonela Alejandro, Noten für die Morgenroutine mit Leon Albert, Know-How mit Brandon Acker und die Feel-good-Melodie der Woche mit Pachyman

Hey!

Nur eine Etüde von elf weiteren, die von Segovia für gut befunden wurde, und eine damit verbundene offene Interview-Einladung. Außerdem ein Mann, der die Frage, welches Saiteninstrument er auf eine einsame Insel mitnähme, jede Woche anders beantworten würde und ein Debütalbum einer Gitarristin, auf das wir uns schon eine ganze Weile gefreut haben.

Außerdem tut Leon Albert Leon-Albert-Dinge in der immer beliebter werdenden Morgen- Etüden-Routinen-Kategorie. Abschließend ein kleiner Spoiler: Die Feel-good-Melodie der Woche hat diese Bezeichnung in der heutigen Ausgabe wahrscheinlich mehr verdient als alle zuvor.

Wir wünschen euch viel Freude mit der vorliegenden Ausgabe. Die nächste kommt dann Anfang August – für uns ist nämlich erstmal Sommerpause angesagt :)

Stefan und Willi

YOUTUBE-FUND DER WOCHE
mit Evgeny Beleninov

Es gibt gewisse Dinge, die uns ein ganzes Leben lang begleiten können. Sei es ein gutes Buch, das man mehrfach in unterschiedlichen Lebensphasen lesen kann, eine ikonische TV-Serie oder ein Filmklassiker. Und so gibt es auch einige Stücke des Kanons, die man immer wieder spielen kann, ohne dass sie jemals an Mehrwert einbüßen. Das Werk, von dem hier die Rede ist, ist sicher den meisten geläufig. So geläufig, wie es Evgeny Beleninov hier spielt, soll es uns aber als Anreiz gelten, sich nochmal mit diesem Werk zu beschäftigen.

Mehr Worte möchten wir an dieser Stelle, schon aufgrund der Bekanntheit der interpretierten Étude No. 1 von Heitor Villa-Lobos, gar nicht verlieren. Außer unsere uneingeschränkte Empfehlung, sich das anzuschauen. Vielleicht hat der*die eine oder andere Lust, sein*ihr Arpeggien-Game aufzupolieren oder sich allen zwölf Etüden noch mal intensiv zu widmen. Interessant ist übrigens, dass Segovia, dem die Etüden gewidmet waren, zunächst nur die siebte der zwölf Etüden in E-Dur für nützlich hielt. So schrieb Segovia in einem Brief im August 1939 an Ponce:

“Nach Castelnuovo werde ich einige Etüden zitieren, darunter zwölf, die Villa-Lobos für mich komponiert hat. Aber es gibt eine große Unebenheit zwischen den beiden [Komponisten].”

Und weiter im Oktober 1940:

“Ich übertreibe nicht, wenn ich Ihnen sage, dass die einzige, die etwas taugt, die Etüde in E-Dur ist, die Sie mich dort üben hörten. Unter den beiden letzten Stücken gibt es eines, das er selbst zu spielen versuchte, von tödlicher Langeweile. Es versucht, Bach zu imitieren, und spätestens beim dritten Zyklus einer absteigenden Progression – also vielmehr einer Regression –, mit der das Werk beginnt, möchte man lachen”

Wer sich zum Thema Kanonbildung und die Rolle Segovias auseinandersetzen möchte, dem sei dieser Artikel mit dem Titel Heitor Villa-Lobos and the Traces of Coloniality in Andrés Segovia's Guitar Repertoire empfohlen (dort findet ihr auch die Zitate und Quellenangaben).

Hiermit rufen wir eine Einladung für ein diskursives Doppel-Interview für unsere Jubiläumsausgabe 30 aus: Wer sich intensiv mit der Rolle Segovias für das Gitarren-Repertoire beschäftigt, möge sich melden.

ALBUM DER WOCHE
mit Leonela Alejandro

Unsere Hörempfehlung für diese Woche kommt von einer jungen Gitarristin aus Puerto Rico, über die man ordentlich ausholen könnte. Müssen wir aber nicht. Denn mit Ihrem Debut-Album Leonela stellt sie sich – so haben zumindest wir den Eindruck bekommen – in einer äußerst nahbaren, charmanten und natürlichen Art selbst vor.

Es fängt schon mit der besonderen Auswahl der Titel an. Von Tedesco und Takemitsu über puerto-ricanische & südamerikanische Komponisten, die uns jetzt nicht unbedingt geläufig waren, bis hin zu einem DER Jazzgitarristen. So ein erstes Album hätten wir mit Mitte zwanzig auch gern mal rausgehauen. Leonela Alejandros interpretiert die Stücke so leichtfüßig, blitzsauber, durchdacht und mit der perfekten Dosis Energie. Wieder einmal eine Albumentdeckung, die sich zum Genießen regelrecht aufdrängt!

Wir sind ehrlich gesagt hin und weg!

Unsere Favoriten? “Coco de Alagoas” (Paulo Bellinati) and “Pregunta” (Ernesto Cordero).

MORGEN-ROUTINE
Auf einen Kaffee mit Leon Albert

Hi Leon, was ist die Routine für diese Woche?

Beste Routine: Keith Richards Zitate lesen und sich prächtig amüsieren. Und Ostinati aka Riffs, die über Tonwiederholungen auf Bass-Leersaiten hinausgehen, sind auch immer eine gute Herausforderung.

KNOW-HOW
mit Brandon Acker

Was passiert, wenn man nicht nur ein Instrument beherrscht, sondern gleich eine ganze Familie an Instrumenten – und dabei keines zum bloßen Nebenbei-Projekt degradiert? Gibt es eine Art lerntechnische Rückkopplung von einem zum anderen? Brandon Acker ist ein Musiker, der sich mit bemerkenswerter Hingabe einer Vielzahl von Saiteninstrumenten widmet: Laute, Barockgitarre, Theorbe, Gitarre – you name it. Über seinen YouTube-Kanal teilt Brandon dieses Wissen mit einer stetig wachsenden Community – in einer Mischung aus musikalischem Anspruch, kluger Vermittlung und spürbarer Begeisterung. Für viele junge Musiker*innen ist sein Kanal längst eine Inspirationsquelle und ein Ort für Entdeckung, Vertiefung und Austausch.

Hi Brandon, du bewegst dich zwischen modernen und historischen Zupfinstrumenten – wie gehst du mit den Unterschieden in der Saitenspannung, der Mensur und dem Setup um, insbesondere in Bezug auf Artikulation und Klangvorstellung?
Ich habe schon immer viele Instrumente gespielt. Ich erinnere mich, als ich als Teenager in einer Rockband spielte, wechselte bei den Konzerten immer zwischen Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang hin und her. Das Gleiche gilt für Gitarren und Laute. Ich habe viel Zeit mit jedem Instrument verbracht, um herauszufinden, wie ich den besten Sound aus ihm herausholen kann und welche Stärken und Schwächen es hat. Jetzt kann ich einfach umschalten und meine Technik und meinen musikalischen Ansatz anpassen, je nachdem, welches musikalische Werkzeug bzw. Instrument ich gerade in der Hand halte. Es ist möglich, dass ich in einer „Meister von keinem“-Situation bin, aber ich würde es nicht anders haben wollen. Ich liebe es, vielseitig zu sein und von einem Instrument zum nächsten zu springen. Die Welt der Musik ist zu groß, als dass ich mich auf eine bestimmte Stimmung, Klangfarbe oder Musikepoche beschränken könnte.

Wie hat die Erfahrung mit der Theorbe deine Phrasierung auf der klassischen Gitarre geprägt? Gibt es eine Art Rückkopplungsschleife zwischen den Instrumenten?
Oh ja! Da jedes Instrument seine eigene Bandbreite an Tonhöhen (Tessitura), sein eigenes Klangspektrum und seine eigene Rolle in einer Gruppe einnimmt, habe ich durch das Spielen der anderen Instrumente Fähigkeiten erlernt, die ich nie gelernt hätte, wenn ich nur klassische Gitarre gespielt hätte. Ich habe zum Beispiel ein tieferes Verständnis für Harmonie und Komposition, weil ich 10 Jahre lang in Opern und mit Orchestern über bezifferte Bässe improvisiert habe. Das Spielen mit so vielen großartigen Sänger*innen hat mich gelehrt, wie man mit dem Atem und dem Text des*der Sängerin schön phrasiert. Und schließlich habe ich durch das Teilen einer Basslinie mit so vielen wunderbaren Cello-/Gambenspieler*innen gelernt, wie gut eine Basslinie geformt werden kann und wie Barockmusik wirklich vom Bass aufwärts konzipiert ist, was im Gegensatz zu meiner modernen Ausbildung steht, die sich auf die Melodie konzentriert.

Du spielst oft in Generalbassbesetzungen. Wie verändert sich dein innerer Sinn für Klang und musikalische Funktion, wenn du Basso continuo spielst, im Vergleich zur Solo-Polyphonie von Weiss oder de Visée?
Wenn ich Continuo spiele, fühle ich mich eher wie ein Jazzgitarrist, der improvisiert. Beim Lesen von Solomusik konzentriert man sich hauptsächlich darauf, die Noten auf der Seite zu spielen, mit etwas Improvisation. Continuo ist jedoch zu mindestens 50 % Improvisation. Ich entscheide, welches Instrument ich spiele, ob ich einen Satz spiele oder nicht, welche Noten ich spiele, welche Art von Akkord ich spiele und wie ich den negativen Raum mit allem fülle, was mein Herz begehrt. Ich denke mehr wie ein Komponist als jemand, der einfach nur seine Stimme abliest. Ich würde jeder*jedem klassischen Gitarrist*in oder Lautenist*in empfehlen, Zeit damit zu verbringen, einfache Grundbässe zu spielen und mit Freund*innen zu improvisieren. Dadurch habe ich mehr darüber gelernt, wie Musik funktioniert, als durch das jahrelange Studium von Musiktheorie-Lehrbüchern.

Wenn du auf eine einsame Insel gehen müsstest und nur eines deiner Instrumente mitnehmen könntest. Welches wäre das und warum?
Oh, das ist eine unmögliche Wahl! Mein Lieblingsinstrument wechselt fast jede Woche. Wenn ich diese Woche wählen müsste, wäre es die Erzlaute.

Wenn du einen Satz auf ein Plakat drucken lassen könntest, das in riesiger Auflage bei allen (klassischen) Musik-Festivals der Welt hängen würde. Welcher wäre das?
"Einen falschen Ton zu spielen, ist unbedeutend. Ohne Leidenschaft zu spielen, ist unverzeihlich." – Beethoven

FEEL-GOOD-MELODIE DER WOCHE
mit Pachyman

Eine beschwingte und positive Melodie! Da hat man gleich Lust, morgens aus dem Bett zu springen. Oder mitten am Tag mal in den Himmel schauen. Stress? Bad News? Kurz die Kopfhörer auf, die Haare in den Wind und aufgesprungen auf den Zug der guten Laune!

Unsere Feel-good-Melodie der Woche!

OUTRO

Vielen Dank fürs Lesen! Wir selbst haben schon wieder eine große Liste in unserer Notizen-App mit möglichen Entdeckungen für die nächste Ausgabe. Entdecken könnt ihr auch unsere Playlist zum Newsletter (Link weiter unten), weil da wieder so viel Neues, Schönes drauf ist, was wir die letzten Tage, Wochen und Monate finden durften.

Seid gut zueinander.

Wir hören und lesen uns!

Stefan & Willi

New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findet ihr unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Ihr könnt unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.