Ausgabe 29

In dieser Ausgabe: Laura Snowden im Youtube-Fund der Woche, Album der Woche von Misael Barraza-Diaz, Noten für die Morgenroutine mit Leon Albert, Know-How mit Ricardo Gallén und die Feel-good-Melodie der Woche mit dem ATOS Trio

Hey!

Wir sind zurück aus der Sommerpause und während manche von euch sicher unterwegs sind und verdientermaßen die Seele baumeln lassen, Konzerte spielen oder vorbereiten, ist wieder viel Neues erschienen und musikalisch Spannendes passiert.

Laura Snowden hat eine erste super schöne Single zu ihrem Debütalbum gedroppt und wir hatten die Freude ein Interview über Polyphonie auf der Gitarre mit dem wunderbaren Musiker und Gitarristen Ricardo Gallén zu führen und ein Album von Misael Barraza-Diaz zu entdecken, das es in sich hat und uns in diesen Wochen ohne Newsletter ein hervorragender Begleiter war. Und auch Leon Albert nimmt die Routine mit seinen Übungsstücken wieder auf, indem er diesmal fleißig enharmonisch verwechselt.

Bevor wir starten, möchten wir aber noch etwas mit euch teilen, das uns wirklich freut:

Seit mehr als einem Jahr und fast 30 Ausgaben steckt in diesem Newsletter jede Menge Herzblut. Wir haben bisher alles zeitlich und finanziell selbst gestemmt, von der Recherche und den Texten bis hin zu Lektoraten und Übersetzungen und allem, was im Hintergrund nötig ist, damit er bei euch im Postfach landet. Danke an dieser Stelle an unser wundervolles Team: Christian (Lektorat & Übersetzung) & Fab (Management). 

Umso glücklicher sind wir, mit Duke Guitars nun einen super Partner gefunden zu haben, der uns dabei unterstützt, diesen Newsletter auch in Zukunft mit spannenden Artists und Geschichten zu füllen.

Ein herzliches Dankeschön an Duke Guitars und natürlich an euch, die ihr uns schon so lange begleitet.

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen, Hören und Schauen.

Stefan und Willi

YOUTUBE-FUND DER WOCHE
mit Laura Snowden

Es mag vorgekommen sein, dass wir bezüglich Laura Snowdens Musik im Rahmen dieses Newsletters schon hier und da ins Schwärmen geraten sind. Wenn Laura aber konstant so wunderbare Musik komponiert, die gleichzeitig stets ungewöhnlich, eigen im Stil und immer mit einer Prise Magie angereichert ist, kommen wir nicht an ihr vorbei.

Das heutige Video der Woche ist die erste Single, der Auftakt gewissermaßen zu ihrem Debütalbum The Changing Sky, das im Oktober erscheinen wird.

Ungewöhnlich ist diesmal die Besetzung aus Gitarre und Saxophon. Dass Laura hier selbst den Begleitpart zu ihrer Komposition spielt, zeigt, dass die Musik für sie im Vordergrund steht. Denn bei einer Auftakt-Single hätte sie sich mühelos gitarristisch in den Vordergrund stellen können. Für Magie sorgen die wunderbar melancholische Melodielinie des Saxophons und die sparsam zarte Begleitung.

Wir sind begeistert. Wieder einmal. Und: Gespannt auf das Album!

ALBUM DER WOCHE
mit Misael Barraza-Diaz

Nach der Sommerpause wollen wir euch auch mit dem Album der Woche direkt was bieten. Und das tun wir hiermit! (Wir zählen die Titelreihenfolge ausnahmsweise mal auf, damit ihr es euch beim Lesen auf der Zunge zergehen lassen könnt.)




Ponces “Intermezzo“, Bachs “Ouverture in the French Style (h-Moll)“, Haydns “Theme and variations in C Major“, Assads “Un bouquet pour Julia“.

Jetzt nehmt euch die Zeit und lasst euch die Titel vom mexikanischen Ausnahmegitarristen Misael Barraza-Diaz servieren. Präzise, spannungsgeladen, unaufdringlich virtuos und facettenreich gespielt. Kurz gesagt: geschmackvoll!

Wir sind beeindruckt von der CD! Zieht euch den ersten Satz des Bach rein und ihr werdet nur unter großer innerer Zerrissenheit auf die Stopptaste drücken können.

Frohes Genießen!

MORGEN-ROUTINE
Auf einen Kaffee mit Leon Albert

Hi Leon, was ist die Routine für diese Woche?

Sinnlose Gedankenkreise sind extrem nervig, es sei denn, sie werden zu Musik. So war es bei diesem Stück der Fall.

Routine und Herausforderung dieser Ausgabe dürfte wohl das Thema der enharmonischen Verwechslung sein. Ich freue mich über Feedback, ob ihr findet, ich hätte es anders notieren sollen. Ich habe den für mich musiktheoretisch logischsten Weg gewählt. Ob das gut für die Lesbarkeit ist, könnt nur ihr entscheiden. Ich bitte darum! Falls es nicht gut lesbar ist, bereitet ihr euch beim Üben immerhin auf schlimme Fälle vor, die es in der Praxis ja immer wieder gibt.

KNOW-HOW
mit Ricardo Gallén

Was passiert, wenn mehrere Stimmen auf der Gitarre nicht nur übereinanderliegen, sondern sich wie eigenständige Charaktere durch ein Stück bewegen, im Dialog, im Widerstreit? Ricardo Gallén, mit Sicherheit den meisten als Gitarrist und Lehrender bekannt, weiß auf beste Weise, diese Beziehungen hörbar zu machen und polyphone Musik so zu gestalten, dass jede Linie ihr eigenes Gewicht behält.
Wir haben ihn gefragt, wie er sich neuen Stücken nähert, wie er die Rollen der einzelnen Stimmen erkennt, wie er dieses Gespür auch an seine Studierenden weitergibt und was für ihn persönlich das Schwierigste und zugleich Schönste an der Arbeit mit unabhängigen Stimmen ist. Am Ende liefert er außerdem eine erfrischende Antwort auf unsere Plakat-Frage, die euch in den nächsten Wochen inspirieren möge! Wir sind sehr froh, dass Ricardo Gallén sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten.

Hi Ricardo, wenn du mit der Arbeit an einem neuen polyphonen Stück beginnst, was hilft dir dabei, ein erstes Gefühl für die musikalische Textur zu bekommen?
Wenn ich mich an ein polyphones Stück mache, beginne ich weit entfernt von der Gitarre: Ich setze mich ans Klavier und spiele jede Stimme einzeln, lasse sie sprechen, atmen und ihre Richtung offenbaren. Auf diese Weise sehe ich nicht nur Noten, sondern höre Charaktere im Gespräch. Sobald ich verstanden habe, wer in jedem Moment die Erzählung trägt, verfolge ich die Spannung und Entspannung – Kadenzen, Dissonanzen, Vorhalte –, die der Textur Leben einhauchen. Ich reduziere die Musik immer auf ihr „Skelett“, wie einen einfachen Basso continuo, bevor ich die Partitur sorgfältig wieder aufbaue. Erst dann kehre ich zur Gitarre zurück und arbeite an Artikulation, Fingersatz und Verzierungen, damit jede Stimme ihre Identität innerhalb des Ganzen behält.

Wie kann uns das Verständnis der strukturellen Rolle jeder Stimme dabei helfen, polyphone Musik klarer und ausdrucksstärker zu spielen?
Das Verständnis der strukturellen Rolle jeder Stimme ist für eine historisch fundierte Interpretation der Polyphonie unerlässlich. Barockkomponist*innen wie Bach schrieben Stimmen als Charaktere in einem Dialog, nicht als gleichwertige Noten. Zu wissen, welche Stimme das Thema trägt und welche Unterstützung bietet, ermöglicht es uns, Dynamik, Artikulation und Klang entsprechend zu gestalten – das Thema hervorzuheben, die Begleitung abzuschwächen und sogar die Handbalance anzupassen, um klare Schichten zu schaffen. Dies beeinflusst auch die Phrasierung und Atmung und steht im Einklang mit der barocken Rhetorik, in der die Musik „spricht“. Diese Hierarchie verhindert eine flache Dynamik und verwandelt eine Fuge von einer akademischen Übung in einen lebendigen, historisch fundierten musikalischen Diskurs.

Wie hilfst du deinen Studierenden dabei, ein tieferes Bewusstsein für die einzelnen Stimmen in polyphoner Musik zu entwickeln – über den visuellen oder mechanischen Aspekt der Partitur hinaus?
Ich bitte meine Studierenden, eine drei- oder vierstimmige Fuge handschriftlich zu notieren, wobei jede Stimme auf einer separaten Notenlinie steht. Sobald jede horizontale Linie geschrieben ist, lasse ich sie auf separate Overhead-Folien, die über die Partitur gelegt werden, mit verschiedenfarbigen Markern die artikulatorischen Pausen, die Bindebögen für die musikalische Phrasierung, die Dynamik, die Fingersätze für jede Hand und schließlich auf eine weitere Folie die Basso-continuo-Akkorde schreiben. Auf diese Weise können sie durch das Übereinanderlegen der Folien alle Informationen zusammen sehen oder eine einzelne Ebene isolieren, um an bestimmten Aspekten zu arbeiten. All dies muss natürlich durch das Lesen der wichtigsten historischen Abhandlungen und das Anhören von Aufnahmen mit historischen Instrumenten unterstützt werden.

Was findest du persönlich am schwierigsten – oder am interessantesten – daran, unabhängige Stimmen für die Gitarre zu schreiben?
Die Gitarre ist von Natur aus homophon und begünstigt Akkorde und Resonanz, doch die Interpret*innen bemühen sich, die Illusion einer Polyphonie zu erzeugen, die mit einem Cembalo oder einem Streichtrio vergleichbar ist. Die größte Herausforderung liegt im Sustain: Der Ton klingt schnell aus, sodass eine sorgfältige Planung der Umgriffe, Fingersätze und Saitenwahl erforderlich ist, damit jede Stimme „singen“ kann. Oft werden umständliche Fingersätze verwendet, um ein einheitliches Timbre innerhalb einer einzelnen Stimme zu erhalten. Artikulation und Dynamik sind ebenso entscheidend, damit eine Linie legato bleibt, während eine andere abgesetzt gespielt wird, oder eine ins Crescendo und eine andere ins Decrescendo geht. Wann es interessant wird? Wenn es nicht mehr wie Gitarrenmusik klingt, sondern zu einem lebendigen Dialog der Stimmen wird.

Nach welchen Grundsätzen richtest du dich bei deiner Arbeit mit Transkriptionen von polyphoner Klavier- oder Lautenmusik, wenn du eine Partitur an die Stärken und Schwächen der Gitarre anpasst?
In jeder kontrapunktischen Musik sind die Unabhängigkeit und Logik der Stimmen heilig. Wenn eine Note strukturell Teil einer Stimme ist (der Beginn eines Themas, ein Vorhalt, ein Durchgangston, der die Linie definiert), werde ich alles tun, um sie beizubehalten – selbst wenn dies eine nicht standardmäßige Fingersatztechnik erfordert. Ist eine Note jedoch lediglich eine Verdopplung oder ein Füllton, der die kontrapunktische Logik nicht verändert, kann ich sie gegebenenfalls weglassen, um den Fluss der Linie zu erhalten. Ich versuche jedoch, „gitarristische“ Abkürzungen zu vermeiden, die die Stimmführung verzerren – beispielsweise würde ich niemals zwei unabhängige Stimmen auf einer Saite zusammenfassen, wenn dadurch ihre Unabhängigkeit verloren geht. Oft wähle ich eine technisch schwierigere Fingersatztechnik, weil sie ein klareres polyphones Ergebnis liefert.

Wenn du einen Satz auf ein Plakat drucken lassen könntest, das in riesiger Auflage bei allen (klassischen) Musik-Festivals der Welt hängen würde. Welcher wäre das?
Lernt die Regeln, brecht sie, seid innovativ.

Mehr über Ricardo: https://ricardogallen.com/

FEEL-GOOD-MELODIE DER WOCHE
mit dem ATOS Trio

Eine beschwingte und positive Melodie! Da hat man gleich Lust, morgens aus dem Bett zu springen. Oder mitten am Tag mal in den Himmel schauen. Stress? Bad News? Kurz die Kopfhörer auf, die Haare in den Wind und aufgesprungen auf den Zug der guten Laune!

Unsere Feel-good-Melodie der Woche!

OUTRO

Vielen Dank fürs Lesen! Anregungen und Anmerkungen gerne direkt als Antwort auf diese Ausgabe. Neue Musikentdeckungen, auch von Artists, über die wir in der heutigen Ausgabe geschrieben haben, wie immer in unserer Spotify Playlist zum Newsletter, die wir weiter unten verlinkt haben.

Seid gut zueinander.

Wir hören und lesen uns!

Stefan & Willi

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New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findet ihr unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Ihr könnt unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.