Ausgabe 34

In dieser Ausgabe: TMBM im Youtube-Fund der Woche, Album der Woche von Jelica Mijanovic, Noten für die Morgenroutine mit Leon Albert, Know-How mit Flavio Nati und die Feel-good-Melodie der Woche mit Maddie Ashman

Hey!

Zum ersten Mal was von uns im Video der Woche! Darüber hinaus aber viel mehr, was nicht von uns ist: ein sehr gutes Album zu einem spannenden Thema, das nebenbei ebenso Hörgewohnheiten aufbricht wie es Leon Albert mit seiner Etüde der heutigen Ausgabe tut. Hörgewohnheiten aufgebrochen werden auch mit der Feel-good-Melodie der Woche: Da Weihnachten nicht mehr so weit hin ist wie noch im September, tun wir es den Supermarktketten gleich und bieten euch jetzt schon einen Christmas Carol im Micro-Tuning an. Klingt super gut, obschon ungewohnt und kann schon mal für die Adventszeit vorgespeichert werden.

Kernstück der Ausgabe: Sicherlich das Interview mit dem fantastischen Gitarristen Flavio Nati, der gleich zwei Alben je einem Komponisten gewidmet hat. Dazu hatten wir viele Fragen …

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen, Hören, Schauen und … eine gute Zeit!

Stefan und Willi

YOUTUBE-FUND DER WOCHE
mit TMBM

Wochenmarkt, Tischtennisplatten, Verkehrsinsel, im Park und vor einer Bar bei Nacht: In der heutigen Ausgabe, es sei uns nachgesehen, möchten wir euch nun mal ein Video in eigener Sache ans Herz legen.

Wie wir bereits im Sommer angekündigt hatten, wird der Newsletter von DUKE GUITARS unterstützt. Und weil wir nichts empfehlen, was wir nicht selbst ausprobiert und für gut befunden haben, haben wir zwei Duke-Modelle aus der Meisterserie angespielt und das Ganze in einem Video festgehalten.

Die Idee dahinter war, an verschiedenen Orten in unserem Kiez in Berlin Schöneberg zu spielen, der für uns mehr als ein Zuhause geworden ist. Orte, an die es uns vor, während, nach dem Proben zieht oder die auf dem Weg zu unseren Konzerten liegen.

Wir sind am Morgen bei Sonne auf dem Wochenmarkt unseres Vertrauens gestartet und haben unsere Session kurz vor Mitternacht auf den Treppen im Gleisdreieckpark vor den Lichterketten einer Bar beendet. Und um das Video frisch und knackig zu halten, haben wir immer nur einen Ausschnitt unserer Stücke an der jeweiligen Location gefilmt und mit unserem Zoom-Recorder live aufgenommen.

An der letzten Station kam es sogar ganz unverhofft zu einer Tanzeinlage, die uns den Tag noch zusätzlich versüßt hat. Wir hatten einen Riesenspaß beim Drehen und hoffen, dass es euch beim Anschauen und -hören ebenso geht!

ALBUM DER WOCHE
mit Jelica Mijanovic

Sich mit der Musik von Minderheiten auseinanderzusetzen, bedarf oft einer größeren Portion Aufwand und Hinwendung. Die Früchte dieser Arbeit sind aber meist süßer, gehaltvoller und größer als die des Mainstreams. Jelica Mijanovic widmet sich in ihrem aktuellen Album Meridians – Guitar Music from Six Continents Komponist*innen aus den BIPOC-Communitys. Einige Zeitgenoss*innen, aber auch Vertreter der Frühklassik/Klassik sind auf der Platte zu hören.

Wir sind äußerst froh, auf diese Veröffentlichung gestoßen zu sein. Jelica stellt hier eine breite Diversität an Kompositionen vor und spielt diese von vorne bis hinten ausgezeichnet auf den Punkt. Sie scheint sich auf jeden Musikstil neu einzulassen und sich in die Kompositionen und die Geschichten dahinter ausgiebig reingedacht zu haben. So klingt es zumindest! Danke für diese wundervollen Interpretationen!   Am meisten begeistert hat uns die iranische Komponistin Golfam Khayam mit ihrem Stück “Thousand Mirrors”. Bei uns entstand sofort das Gefühl, uns selbst zwischen tausend Spiegeln wiederzufinden. Verwirrt, wo vorne, hinten, oben, unten ist. Nach und nach kommen immer wieder Ankerpunkte, aber das Flirren der Spiegel bleibt bestehen. Wie geht es euch mit dem Stück?

Hört euch auch unbedingt die Sonata V (Allegro, Rondo) von Mattia Vento (1735–1776) an. Tolle Musik, super delikat gespielt! Und noch eine Hommage an einen Vogel (kein Kolibri ;)): “The Black Cockatoo (flying alone)” des australischen Gitarristen und Komponisten Richard Charlton.

Wieder eines dieser besonderen Alben! Viel Freude beim Hören!

MORGEN-ROUTINE
Auf einen Kaffee mit Leon Albert

Hi Leon, was ist die Routine für diese Woche?

In dieser Etüde geht es darum, Gewohnheiten bewusst aufzubrechen, aber möglichst ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren.

KNOW-HOW
mit Flavio Nati

Was passiert, wenn man sich ganz auf die Musik eines einzigen Komponisten einlässt – oder gleich zweier? Flavio Nati hat sich intensiv mit den Werken von Tōru Takemitsu und John W. Duarte beschäftigt und beiden eigene Alben gewidmet. Im Interview der Woche erzählt er uns, wie sich diese konzentrierte Arbeit auf sein Hören und Spielen auswirkt, welche klanglichen und technischen Herausforderungen Takemitsus Musik birgt und wie er bei aller Werktreue seinen eigenen Zugang findet. Wir freuen uns sehr, dass Flavio sich die Zeit genommen hat, uns unsere Fragen zu beantworten und wir empfehlen euch: Unbedingt beide Alben im Anschluss anhören.

Hi Flavio, was hat es für dich als Gitarrist bedeutet, ein ganzes Album der Welt eines einzigen Komponisten zu widmen (in deinem Fall Takemitsu bzw. Duarte)? Hat diese intensive Auseinandersetzung deine Art, ihre Musik zu hören oder anzugehen, verändert?
Hi Willi und Stefan, zunächst einmal vielen Dank für eure Fragen. Ich denke, es ist immer eine großartige Gelegenheit für uns, unsere Gedanken über die Musik, die wir spielen, zu teilen – Gelegenheiten wie diese gibt es nicht so oft.

Die beiden Projekte, auf die ihr euch bezieht, unterscheiden sich ziemlich voneinander, obwohl sie auch einige Gemeinsamkeiten haben. Der Hauptunterschied besteht darin, dass das Takemitsu-Album ganz natürlich aus meinem persönlichen Bedürfnis heraus entstanden ist, meine eigene Sichtweise auf die Gitarrenwerke des Komponisten zu teilen. Die CD mit Duartes Musik hingegen nahm nach und nach durch die Zusammenarbeit mit dem Sohn des Komponisten, Chris, Gestalt an – dem ich für sein Vertrauen sehr dankbar bin. Alles begann mit der Veröffentlichung einer Partitur für Gitarrenduo (Fantasia and Fugue on “Torre Bermeja”, Op. 30) und führte schließlich zur Veröffentlichung des Albums für Brilliant Classics, J. W. Duarte: Guitar Music, Vol. 3. Beide Projekte stellen eine persönliche Interpretation der beiden Komponisten dar, da sie mehrere Jahrzehnte ihres Gitarrenwerks umfassen.

Bei Takemitsu habe ich versucht, in seine musikalische Welt einzutauchen – ich habe mir ausführlich seine Orchestermusik angehört, die ich wirklich großartig finde – und versucht, seine Faszination für Klangfarben in die Sprache der Gitarre zu übersetzen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die ich jedoch für unerlässlich halte.

Duarte hingegen ist viel stärker in der Welt der Gitarre verwurzelt. Er war selbst Autodidakt und ich kannte seine Musik schon lange, auch wenn ich sie vor diesem Projekt noch nie gespielt hatte. Durch die Aufnahmen und meine Zusammenarbeit mit Chris habe ich seine Arbeit viel tiefer schätzen gelernt. Ich habe viele weniger bekannte Stücke entdeckt – versteckte Juwelen, die genial, elegant und niemals trivial sind.

Takemitsus Gitarrenkompositionen wirken oft sehr atmosphärisch, fast orchestral in ihrer Klangfarbe. Aus Sicht des Instruments: Was sind die besonderen Herausforderungen oder Möglichkeiten, wenn man diese Texturen auf der Gitarre zum Leben erweckt?
Die Herausforderung bei Takemitsus Orchesterkompositionen besteht darin, dass sie immer vielschichtig sind, was es schwierig macht, ihre ganze Fülle mit den relativ “begrenzten” Möglichkeiten der Gitarre einzufangen. Eines der Hauptprobleme bei seinen Gitarrenkompositionen ist insbesondere die Verwendung von Obertönen. Eliot Fisk sagte einmal, dass Takemitsus Stücke “so zart wie Schneeflocken” seien, und wenn man sie ohne Feingefühl spiele, würden sie unweigerlich ruiniert – dem kann ich nur zustimmen.

Mein Ansatz war es, diese Werke fast wie den ersten Entwurf des Komponisten zu behandeln: Ich wollte bestimmte Passagen umgestalten und dabei versuchen, die ursprünglichen Absichten des Komponisten neu zu interpretieren, während ich einige der bearbeiterischen Entscheidungen des Widmungsträgers (hauptsächlich Fingersätze) bewusst außer Acht ließ. Aus diesem Grund beschloss ich, hier und da ein paar Obertöne hinzuzufügen, um die Stücke klangmäßig dem anzunähern, wie ich sie mir vorstellte. Dies gilt insbesondere für “Equinox”, wo der Einsatz von Obertönen eine besonders wichtige Rolle spielt.

Hast du bei der Arbeit mit allen Solowerken und Transkriptionen von Takemitsu Verbindungen oder Kontraste zwischen den Stücken entdeckt, die dich überrascht haben?
Ja, auf jeden Fall! Es gibt bestimmte Ideen, die in seiner Musik immer wieder auftauchen – zum Beispiel ein Zickzackmuster, das er offenbar von Olivier Messiaen übernommen hat – und einige Akkorde und Klangfarben schienen ihm jahrzehntelang im Kopf herumzugehen.

Stellt euch nur mal vor: Das Ende seines ersten Stücks für Gitarre (“Folio Nr. 1”) und seines letzten (“Muir Woods”, der dritte Satz von In the Woods) basieren beide auf der gleichen Harmonie – einem Des-Dur-Akkord über einem E-Dur-Akkord. Darüber hinaus ist Des-Dur auch das tonale Zentrum des letzten Satzes von All in Twilight. Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie Werke aus verschiedenen Jahrzehnten tief miteinander verbunden sind.

Es sei auch daran erinnert, dass Takemitsu selbst Gitarre spielte und einige seiner Liedarrangements offenbar tatsächlich als Gitarrenstudien begannen – was vielleicht erklärt, warum einige von ihnen recht anspruchsvoll sind!

Wie bringst du die Treue zu Takemitsus sehr detaillierten Partituren mit deiner eigenen künstlerischen Stimme in Einklang?
Wie ich bereits erwähnt habe, war es mein Plan, mich eng an die Partitur zu halten, wobei ich mir bewusst war, dass es in der Regel einen „Mittelsmann“ gibt – den*die Herausgeber*in des Stücks, oftmals die Person, der das Stück gewidmet ist –, der zwischen dem*der Komponist*in und dem*der Interpret*in steht.

Also versuchte ich, den Einfluss des*der Herausgeber*in herauszufiltern, indem ich bestimmte Passagen auf meine eigene Weise neu interpretierte: Ich änderte Harmonien, Fingersätze und so weiter – immer mit dem Ziel, einen klareren, resonanteren Klang zu erzielen, der meiner Meinung nach Takemitsus Absicht näher kam und meiner persönlichen Vorstellung davon entsprach, wie ich das Beste aus meinem Instrument herausholen konnte.

Wenn du einen Satz auf ein Plakat drucken lassen könntest, das in riesiger Auflage bei allen (klassischen) Musik-Festivals der Welt hängen würde. Welcher wäre das?
In diesen Zeiten, in denen es so viele Krieg auf der Welt gibt, kommt mir immer wieder ein Satz des großen amerikanischen Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein in den Sinn: “Das ist unsere Antwort auf Gewalt: Wir werden noch intensiver, noch schöner, noch hingebungsvoller musizieren als zuvor.”

FEEL-GOOD-MELODIE DER WOCHE
mit Maddie Ashman

Eine beschwingte und positive Melodie! Da hat man gleich Lust, morgens aus dem Bett zu springen. Oder mitten am Tag mal in den Himmel schauen. Stress? Bad News? Kurz die Kopfhörer auf, die Haare in den Wind und aufgesprungen auf den Zug der guten Laune!

Unsere Feel-good-Melodie der Woche!

OUTRO

Danke, dass ihr wieder dabei wart!
 
Falls ihr nach dem Lesen noch ein bisschen in der Musik bleiben wollt – wir haben unten die Playlist zum Newsletter verlinkt. Da landet alles, was uns in dieser Ausgabe besonders hängen geblieben ist (und ein paar neue Funde obendrauf). Die Hörerschaft der Playlist wächst. Das ist wunderschön.  

Seid gut zueinander.

Wir hören und lesen uns!

Stefan & Willi

supported by

New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findet ihr unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Ihr könnt unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.