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Ausgabe 35
In dieser Ausgabe: Ben Lougheed im Youtube-Fund der Woche, Album der Woche von Zoran Dukić, Noten für die Morgenroutine mit Leon Albert, Know-How mit Evgeny Beleninov und die Feel-good-Melodie der Woche mit Tobias Feldmann
Hey!
Was bringt Menschen zusammen? Was hält uns zusammen? Musik ist einer der besten sozialen Klebstoffe und sich dieser Funktion bewusst zu sein, ist doch eine schöne Sache. Im Video der Woche wird alles vom Bass zusammengehalten, bei Zoran Dukićs Album hält das Gefühl der Melancholie das Werk in einem Bedeutungszusammenhang und bei Leon dürft ihr heute die Agogik kurz beiseite lassen und den Groove mitnehmen, denn auch der hält alles zusammen. Und um den roten Faden der Ausgabe noch weiter zu fädeln: Was hält eigentlich einen Etüden-Zyklus zusammen und was verändert sich, wenn man sie alle spielt und nicht nur als Einzelstücke übt? Evgeny beantwortet uns diese Fragen sehr aufschlussreich im Zusammenhang mit den 12 Etüden von Villa-Lobos.
In der Feel-good-Melodie möchten wir zum Abschluss unsere Gitarristenseelen streicheln. Wenn ein Geiger mal ein Arrangement einer Gitarrenkomposition spielt… Wie findet ihr diese Version? Lasst es uns wissen.
Wir wünschen viel Spaß beim Lesen, Hören und Schauen.
Stefan und Willi
YOUTUBE-FUND DER WOCHE
mit Ben Lougheed
Ben Lougheed spielt Rameaus „Gavotte et six doubles“ – ursprünglich fürs Cembalo – in einer eigenen Gitarrenfassung. Die Gavotte setzt das Fundament, die sechs Doubles ziehen die Textur nach und nach an: schlank, klar, mit wachsender Beweglichkeit.
So schön, wie stabil der Bass das Ganze zusammenhält und wie sauber die Mittelstimmen ineinandergreifen. Die Verzierungen bleiben in der Linie, der Puls bleibt leicht, die Dynamik wächst ohne Druck und am Ende steht ein Bogen, der durch das Stück trägt.
Das Video hält sich angenehm zurück: klare Perspektiven, nah dran am Instrument, nichts, was ablenkt. Unaufgeregt und passend zur Musik. Schaut’s euch an!
ALBUM DER WOCHE
mit Zoran Dukić

Zoran Dukić widmet sich auf seinem Album Black Bile einem Gefühl, oder soll man eher sagen einem Mix an Gefühlen, oft schwer zu greifen und doch so omnipräsent. Bis zum Mittelalter als Krankheit eingestuft, später eng mit dem Künstlersein assoziiert, Inspirationsquelle, Basis so vielen künstlerischen Schaffens. Und nicht zuletzt könnte man gerade die Gitarre als DAS Sprachrohr dieses Gefühls beschreiben: Melancholie.
Zoran greift in die melancholische Kompositionskiste und zeichnet daraus ein durch Nationalitäten und Jahrhunderte beeinflusstes Bild. Da wäre zum Beispiel John Dowlands Fantasie “Forlorn Hope Fancy”, deren Chromatik zutiefst berührt, fleht, seufzt. Oder Augustin Barrios‘ “Choro de saudade”, das im Kontext der Platte noch tiefer reingeht, als es das ohnehin schon tut. Was ein herzzerreißendes Stück Musik. Wie Zoran in der äußerst detaillierten Beschreibung der CD auf der Homepage von GuitarCoop treffend sagt: “‘Saudade’ ist jene mystische Mischung aus Traurigkeit und Sehnsucht, die offenbar nur Brasilianer*innen wirklich fühlen können”.
Große Empfehlung, sich die Zeit zu nehmen und das durchzulesen!
(https://guitarcoop.com.br/en/zoran-dukic/)
Außerdem ein schönes Feature auf der CD: “Cinema Paradiso” des walisischen Komponisten Stephen Goss. Mit 6 von Regisseuren und Genres inspirierten Sätzen.
Es müsste fairermaßen jedes einzelne Stück der Trackfolge erwähnt werden, weil die Auswahl so stimmig ineinandergreift. Und – bisher unerwähnt, weil auch irgendwo selbstverständlich – Zoran Dukić, der durch seine Art, mit der Gitarre zu verschmelzen, und durch sein feines Gespür für Interpretation die Kompositionen in ihrem ganz eigenen, verdienten Glanz erscheinen lässt. So bereichernd, auf diese Platte gestoßen zu sein!
Lehnt euch zurück und schwelgt in diesem wunderbar, sonderbar einnehmenden und tiefgehenden Gefühl der Melancholie!
MORGEN-ROUTINE
Auf einen Kaffee mit Leon Albert

Hi Leon, was ist die Routine für diese Woche?
Groove tut auch mal gut zwischen all der Agogik. Außerdem ist die Kraft der Wiederholung, bzw. eines schönen Loops, nicht zu unterschätzen. Fill-ins sind eine Kunst für sich und Flow im Hamsterrad des Alltags kann die Rettung sein. In diesem Sinne groovt euch ein, jammt mit dem Ding, improvisiert eigene Fills und vergesst bestenfalls die Zeit. Per Voicememo parallel mitschneiden, um die eigenen Ideen festzuhalten oder auch das Timing nachher zu überprüfen, ist ebenfalls zu empfehlen (so ist dieses Stück entstanden). Diese Aufnahmen würden mich brennend interessieren – für die ersten 3, die mir zugeschickt werden, gibt es ein gratis Notenbuch! :)
Kontakt via Insta: @leonalbertmusic
KNOW-HOW
mit Evgeny Beleninov

Alle klassischen Gitarrist*innen kennen sie, aber wie versteht man Villa-Lobos’ 12 Etüden, wenn man sie nicht als Einzelstücke, sondern als in sich kohärentes Gesamtwerk spielt? Gitarrist Evgeny Beleninov beschäftigt sich intensiv mit diesem Zyklus und mit der Frage, wie Technik, Klang und Form darin zusammenspielen.
Im Interview sprechen wir über den Blick aufs Ganze, über wiederkehrende Bewegungs- und Rhythmusmuster, über typische Stolperstellen und darüber, welche Etüde ihm besonders nah ist. Außerdem gibt er eine sehr inspirierende Antwort auf unsere Plakatfrage, die wir uns auch alle über das Plattenregal hängen sollten! Danke Evgeny, dass du dir die Zeit genommen hast, uns unsere Fragen zu beantworten!
Als kompletter Zyklus: Was erschließt sich an den 12 Etüden erst, wenn man wirklich alle erarbeitet hat – in Form, Klang und Dramaturgie?
In den zwölf Etüden von Villa-Lobos gibt es eine klare Steigerung – weniger im technischen Schwierigkeitsgrad als in der musikalischen Tiefe. Man kann sie auch in 3 Gruppen einteilen. Die Etüden 1–4 haben deutliche technische Schwerpunkte (Arpeggien, Bindungen, Akkordspiel). In 5–8 stehen Klang, Phrasierung und Gestaltung im Mittelpunkt. Die letzten vier vereinen Virtuosität und Ausdruck. Man entwickelt sich im Verlauf vom*von der Spieler*in zum*zur Künstler*in. Auch die Dramaturgie nimmt zu: Nach dem eher klassischen, teils heiteren Beginn wird die Stimmung ab der 5. Etüde melancholischer, französisch gefärbt und schließlich zunehmend komplex und modern.
Welche wiederkehrenden Bewegungs- oder Rhythmusmuster ziehen sich durch mehrere Etüden, und wie nutzt du diese Querverbindungen im Üben?
Jede Etüde ist sehr eigen und bringt neue Herausforderungen mit sich. Natürlich tauchen ähnliche Spieltechniken immer wieder auf – etwa Akkordverschiebungen oder Arpeggien. Diese Verbindungen helfen nicht nur beim Erarbeiten der anderen Etüden, sondern verbessern das Spiel insgesamt. Wenn man den ganzen Zyklus durcharbeitet, merkt man, dass sich viele Bewegungen vertraut anfühlen und ineinander übergehen. Am Ende ist man nicht nur technisch gefestigt, sondern auch musikalisch flexibel – und vor allem: nach den zwölf Etüden ist man definitiv gut eingespielt.
Welche Etüde ist für viele das „Problemkind“ – und warum? Welche typischen Fallen siehst du dort, und welche eine konkrete Übemethode hat dir am meisten geholfen?
Eine der technisch schwierigsten Etüden ist gleich die Nr. 2. Obwohl die linke Hand viele Sprünge hat, liegt die eigentliche Herausforderung in der rechten Hand. Mir hat es sehr geholfen, sie zunächst allein zu üben – ohne zu greifen – und dabei verschiedene rhythmische Varianten einzubauen, etwa mit kleinen Pausen alle acht Sechzehntel, die man dann versetzt. Das schärft Kontrolle und Gleichmäßigkeit. Auch Etüde Nr. 10 bringt einen an die Grenzen. Eine spezielle Methode habe ich dort nicht gefunden – da hilft manchmal wirklich nur Geduld und ein bisschen beten.
Welche Etüde liegt dir am meisten am Herzen und warum?
Am meisten liegt mir die Etüde Nr. 11 am Herzen. Sie ist für mich vollkommen – klar komponiert, architektonisch durchdacht und gleichzeitig voller Energie. Ihre Form hat etwas in sich Geschlossenes, fast Monumentales, und doch bleibt sie lebendig und atmend. Diese Etüde begleitet mich schon am längsten von allen, sie ist so etwas wie ein Fixpunkt geworden. Ich entdecke immer wieder neue Feinheiten in ihr. Ohne diese Etüde wäre mein Verständnis der Gitarre – als Klangkörper, als Instrument überhaupt – kaum denkbar.
Wenn du einen Satz auf ein Plakat drucken lassen könntest, das in riesiger Auflage bei allen (klassischen) Musik-Festivals der Welt hängen würde. Welcher wäre das?
Die Antwort auf die Frage liegt über meinem Plattenregal, wo ein Zitat hängt, das lautet: “Das Wesentliche ist die Musik.” Diese einfache, aber tiefgründige Botschaft erinnert uns daran, dass inmitten von Hype, Kommerz und Konkurrenz im Musikbusiness oft das eigentliche Ziel vergessen wird. Letztendlich geht es immer um die Musik selbst.
Mehr über Evgeny: www.beleninov.com
FEEL-GOOD-MELODIE DER WOCHE
mit Tobias Feldmann
Eine beschwingte und positive Melodie! Da hat man gleich Lust, morgens aus dem Bett zu springen. Oder mitten am Tag mal in den Himmel schauen. Stress? Bad News? Kurz die Kopfhörer auf, die Haare in den Wind und aufgesprungen auf den Zug der guten Laune!
Unsere Feel-good-Melodie der Woche!
OUTRO
Vielen Dank fürs Lesen! Anregungen und Anmerkungen gerne direkt als Antwort auf diese Ausgabe. Neue Musikentdeckungen – auch von Artists, über die wir in der heutigen Ausgabe geschrieben haben – wie immer in unserer Spotify-Playlist zum Newsletter, die wir weiter unten verlinkt haben.
Seid gut zueinander.
Wir hören und lesen uns!
Stefan & Willi
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New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findet ihr unter t-m-b-m.com
Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Ihr könnt unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.

