Ausgabe 5

In dieser Ausgabe: “El Colibri” gespielt von Irina Kulikova, Noten von Antonín Pevala, Das Album der Ausgabe von Yamandu Costa & Domingo Rodríguez Oramas, Know-How mit Sönke Meinen und tolle Musik vom Duo Dispari

Hey!

Willkommen zu Ausgabe 5 unseres Newsletters. Wir nähern uns dem Sommer und was könnte da besser passen als ein Schwung brasilianische Musik. „De Vida y Vuelta“ heißt unser Album der Woche von Yamandu Costa & Domingo Rodríguez Oramas und auch die heutige Miniatur des tschechischen Gitarristen und Komponisten Antonín Pevala passt in diese Jahreszeit. Vorher aber legen wir euch den YouTube Fund der Woche in Form eines kurzen aber sehr schnellen Kolibri-Flugs ans Herz. 

Und allen, die sich für das Thema Backbeat und Percussion auf der Gitarre begeistern, empfehlen wir unsere vier Fragen an DEN Spezialisten dieses Fachs, Sönke Meinen. Abschließend gibt es heute eine eher seltene Kombination in der Kategorie „Gitarre und…“.

Viel Freude beim Lesen!

Stefan & Willi

YOUTUBE-FUND DER AUSGABE
“El Colibri” gespielt von Irina Kulikova

Höher, schneller, weiter.

Eine Maxime, die nicht immer aufgeht und auch keinen uneingeschränkt guten Ruf hat. Der zweite Komparativ – schneller – ist im musikalischen Kontext auch nicht per se beeindruckend. In diesem Fall allerdings schon, weil hier Schnelligkeit mit unverschämter Lässigkeit vorgetragen wird. Chapeau, Irina Kulikova. Man setze sich entspannt auf eine Wiese und ab geht die Fahrt in 

voller Geschwindigkeit. “Kann ein Gitarrist zu einem Kolibri werden?” lautet der Titel des Videos. Die Antwort lautet hier unsererseits: Ja. 

Was für andere Instrumentalist*innen das Stück “Flight of the Bumblebee” von Nikolai Rimsky-Korsakov ist, ist für die Guitarreros das hier angesprochene Stück “El Colibri” von Julio Sagreras. Ein kurzer, aber heftig schneller Flug. Irina Kulikova fliegt mit Leichtigkeit. Unser Youtube-Fund der Woche.

NOTEN
Antonín Pevala - Feeling Scherzo

Hast du dich schon einmal “Scherzo” gefühlt? Oder kommt dir diese Frage das erste Mal unter? Es ist vielleicht nicht alltäglich, sich wie eine Satzbezeichnung zu fühlen. Antonín Pevala (CZ/D) beschreibt den Titel seiner Miniatur folgendermaßen: "Scherzo heißt lustig, witzig, fröhlich, freudig. Oder ist es eher ein Gefühl, wenn kein Plan aufgeht und man sich folglich wie ein Witz fühlt?” “Feeling Scherzo” spielt mit diesem Gedanken auf sehr charmante Weiße. Eine schlichte, eingängige Melodie geht ihren Weg Richtung Zuversicht und wird durch farbige Harmonien in unterschiedliches Licht getaucht. Das irgendwie komische Gefühl zwischen witzig und “ein Witz sein” scheint allgegenwärtig. Coole Idee, cooles Stück! 

Es gehört übrigens zu einer Reihe von Miniaturen unter dem Namen “Lost & Found Impressions”. Antonín beschreibt weiter, dass “jede dieser Miniaturen von einem bestimmten erlebten Moment inspiriert und in genau diesem spontan niedergeschrieben wurde.” Eine Momentaufnahme im besten Sinne. Diese Reihe mit den weiteren Titeln “Lost & Found”, “The Perspective”, “Sunrise over Mikulov” u. a. wird Antonín auch als EP veröffentlichen. Wir dürfen darauf mehr als gespannt sein! 

Um auf dem Laufenden zu bleiben, folge Antonín Pevala auf Insta oder schau auf seiner Website vorbei.

Wir wünschen dir viel Freude und die nötige Prise “Scherzo” beim Auschecken :)

ALBUM DER AUSGABE
Yamandu Costa & Domingo Rodríguez Oramas “El Colorao”, 2023 “De Vida y Vuelta”

Die Leichtigkeit und Spielfreude, mit der die beiden musizieren, ist wirklich ansteckend. Wir wurden gefühlt direkt nach Lateinamerika mitten in eine musikalische Rundreise gebeamt. Yamandu Costa, ein brasilianischer Ausnahmegitarrist, trifft auf Domingo “El Colorao”. Letzterer spielt eine Art Ukulele mit fünf Saiten namens “Timple”, ein speziell auf den Kanaren vorkommendes Instrument (das lief uns vorher auch noch nie über den Weg). So breit die Range der beiden Saiteninstrumente ist, präsentiert sich auch die Auswahl der Stücke. Einigen von euch werden sicher direkt die Titel “Lagrima” oder “Tango en Skai” in die Augen (und Ohren) stechen. Man trifft auf einige “alte Bekannte”. 

Das Album klingt von vorne bis hinten natürlich und ehrlich. Man spürt regelrecht, wie sich beide Musiker im Moment der Aufnahme gegenseitig befruchten. Es macht einfach Spaß und löst durch und durch ein lebensbejahendes Gefühl in einem aus. Zumindest ging es uns so. Gönn dir das mal!

Link zum Album:

Für weitere Infos zum Album ist dieser Artikel zu empfehlen:

KNOW-HOW 
Backbeat und Percussion mit Sönke Meinen

Der sogenannte “Backbeat” ist mit der erste Schritt in Richtung Fingerstyle auf der Gitarre. Und ein Bruchteil dessen, was man einer Akustikgitarre alles entlocken kann. Wie ist es möglich, auf einer Gitarre mehrere Elemente wie Melodie, Bass, Harmonie, Percussionsounds, etc. zur gleichen Zeit hörbar zu machen? Sönke Meinen ist DER Ausnahmekünstler, der sich weit über die Grenzen seiner ostfriesischen Heimat hinaus zu einer international anerkannten Institution in dieser Disziplin hochgespielt hat. Er macht sich sämtliche Einflüsse von Folk, Pop, Klassik und Jazz über Weltmusik bis hin zu Filmmusik zu eigen und kreiert daraus einen einzigartig eigenen Stil.

  1. Was ist ein „Backbeat“ und wie setzt du diesen ein? 

Ein Backbeat ist nichts anderes als ein Klick, der dadurch erzeugt wird, dass der rechte Daumen auf eine der Basssaiten schlägt und die Saite dadurch auf die Bundstäbchen „klatscht“. Ich mag das Wort „Backbeat“ eigentlich nicht, weil er impliziert, dass dieser Klick auf 2 und 4 gespielt wird – und ein „Beat“, also eine Betonung, ist er für mich auch nicht immer. Ich sehe ihn genau wie „normal“ gespielte Töne, Dead Notes und eigentlich alle anderen Klänge ausschließlich als gitarristische Klangfarbe, die sich (je nach Lautstärke) an einer Snare-Drum oder einer geschlossenen Hi-Hat beim Schlagzeug orientiert. Diese Farbe taucht bei mir, wie die meisten perkussiven Klänge, eher in groovigen Kontexten auf – an welcher Stelle im Takt und wie laut sie erklingt, ist ziemlich variabel. Wobei die 2 und 4 im Sinne des „Backbeats“ für erste Übungsgrooves natürlich auch ein guter Startpunkt sind!

  1. Deine Go-To-Tipps für Unabhängigkeit zwischen linker und rechter Hand?

Für mich war ein entscheidender Moment, als ich erkannt habe, dass in Gitarrenstücken mehrere parallel geführte Stimmen oft erst dann so richtig unabhängig klingen, wenn man sie als eine Stimme übt und sich statt der Unabhängigkeit von linker und rechter Hand auf die Abhängigkeit der beiden Hände fokussiert. Wenn eine gitarristische One-Man-Band aus Akkorden, Melodie, Basslinien und Perkussion erklingt, ist es nicht notwendig, dass all diese Stimmen auch separat bis zur Perfektion geübt werden und abrufbar sind. Ich finde viel entscheidender, sich darauf zu konzentrieren, wie diese Stimmen verzahnt sind, sprich, an welcher Stelle welche Klänge gleichzeitig zu hören sind. Selbst, wenn beide Hände augenscheinlich verschiedene Dinge machen – z. B. spielt die linke Hand einen Basston und die rechte erzeugt parallel einen perkussiven Sound –, sehe ich das im Kontext des Stückes, an dem ich arbeite, als eine Bewegung. Wenn ich meine „vierköpfige One-Man-Band“ als eine einzige Gitarrenstimme betrachte, kriege ich das Ergebnis so einfach besser zum Grooven!

  1. Angenommen, ich möchte parallel zu den Ebenen Melodie, Bass und Füllstimmen auch noch Perkussionselemente in einem Stück einbauen – wie gehe ich an die Sache ran, ohne direkt von der Idee schon überfordert zu sein? 

Ich gebe zu, dass diese Situation bei mir sehr selten auftaucht. Wenn ich ein Stück mit Perkussionselementen spiele, sind diese für den Charakter des Stückes oft so wichtig, dass sie sich schon eher einschleichen, also bevor Melodie, Bass und Füllstimmen fertig sind. Entscheidend finde ich die Frage: Braucht mein Stück diese Perkussion wirklich? Oft beobachte ich nämlich den Irrglauben, dass das Hinzufügen von Perkussion ein Stück automatisch rhythmischer oder grooviger macht. Meist ist aber das Gegenteil der Fall und es wäre sinnvoller, das Stück zu entschlacken und dann rhythmisch auf den Punkt zu spielen. Wenn ich an Kolleg*innen wie Adam Rafferty denke: Die groovigsten Arrangements bestehen manchmal nur aus Melodie und Basslinie und liegen dabei besonders gut in den Fingern. 

Entscheidet man sich dennoch dazu, ein Stück perkussiver machen zu wollen, gibt es für mich zwei Ansätze: Entweder, das Stück einfach zu spielen, bis sich ganz intuitiv von selbst die ersten Deadnotes und Klicks einschleichen (wenn das ein Stück wirklich besser macht, passiert das schneller, als man denkt!), oder doch etwas kompositorischer heranzugehen. Letzteres sieht bei mir so aus, dass ich ein Stück gerne in Melodie und Rhythmusgruppe unterteile und dann perkussive Effekte erst einmal nur der Rhythmusgruppe hinzufüge. Wenn ich den fertigen perkussiven Groove in einem Stück dann gut genug etabliere, bevor die Melodie einsetzt, kann ich parallel zur Melodie viele Perkussionselemente weglassen, um es spielbar zu machen – und es groovt trotzdem weiter. Mit anderen Worten: Je besser man rhythmische Elemente am Anfang vorstellt, desto eher hört man diese im Verlauf des Stückes, auch wenn sie zum Teil gar nicht mehr da sind!

  1. Wie holst du dir Inspiration, wenn die Kreativmaschine mal neues Öl braucht?

Gitarre oder Notenpapier weglegen und rausgehen! Inspiration heißt bei mir meistens auch „zu wissen, worüber ich schreibe“ – und die wirklich inspirierenden Geschichten, Beobachtungen oder Emotionen finde ich nicht bei mir am Schreibtisch...

Wenn du tiefer in die Materie einsteigen möchtest, empfehlen wir dir Sönkes YouTube-Kanal. Außerdem hat Sönke auch einen (kostenpflichtigen) TrueFire-Kanal namens “ACOUSTIC GUITAR LAB”. Dort gibt er zu verschiedensten Themen rund um Technik, Theorie oder Komposition gut strukturierte Anleitungen und jede Menge Hintergrundinfos. 

Sönke’s website www.soenkemeinen.com

GITARRE UND…
Duo Dispari spielt “Pajdushka” von Miroslav Tadić

Gitarre und Saxophon! Das ist eine eher ungewöhnliche Kombi, zumindest wenn man den Fokus auf die klassische Gitarrenwelt legt. Giulia Pizzolungo (Gitarre) und Margherita Crisetig (Saxophon) interpretieren “Pajdushka” auf ihre ganz eigene Art. Original für Gitarre und Flöte (oder Geige) geschrieben, bringt das Saxophon schon sein eigenes, warmes, weiches Timbre mit. Und das steht dem Stück erstaunlich gut. Das Zusammenspiel der beiden Musikerinnen ist detailreich aufeinander abgestimmt. Beide spielen sehr klar, mit transparentem und dennoch vollem Sound. Schön, ein Stück des Weltmusikers Miroslav Tadić mit klassischem Habitus zu hören. Wer ihn kennt, weiß, dass er der Gitarre durch seine vielen Einflüsse aus u. a. Folklore, Klassik und Jazz einen ganz eigenen Sound entlockt. Leicht perkussiver, feiner Anschlag, gestaltet musikalisch ergreifend und immer mit einem Hauch Improvisation. Man hat bei ihm stets den Eindruck, dass er mit seinem Instrument regelrecht verschmolzen ist. 

Wir finden es cool, dass sich das Duo Dispari dieses Stücks angenommen hat und sein eigenes Ding daraus macht! 

Die Szenerie des Videos löst sofort ein „da will ich auch hin...“-Gefühl in einem aus. Stimmungsvoll, passend zum Stück und den Interpretinnen. Well done!

OUTRO

Wir hoffen, die vorliegende Ausgabe hat dir ein paar gitarristische Sommer-Vibes ins Postfach gespült.  

Feedback und Anregungen sind wie immer gerne gesehen (Einfach als Antwort auf den Newsletter).

Es grüßen,

Stefan & Willi 

New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findest du unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Du kannst unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.