Ausgabe 6

In dieser Ausgabe: Alexandra Iranfar-Viloteau, Noten von David Holleber, Das Album der Ausgabe von Thibaut Garcia, Know-How mit Reto Weiche und tolle Musik vom Eos Quartett.

Hey!

Willkommen zu Ausgabe 6 unseres Newsletters. Wir sind super happy mit eurem Feedback zur letzten Ausgabe und freuen uns darüber, dass die Gemeinde wächst. In dieser Ausgabe wird es unter anderem darum gehen, Dinge gleichzeitig zu tun. Gleichzeitig singen und spielen zum Beispiel, wie in unserem YouTube-Fund der Ausgabe mit Alexandra Iranfar-Vilateau. Außerdem konnten wir Reto Weiche, einen jungen Musiker befragen, der sich tief in die Gefilde der Neuen Musik eingearbeitet hat. Für uns ein Highlight der vorliegenden Ausgabe. Das Album der Woche kommt heute von Thibaut Garcia, ein wahres Barrios-Feuerwerk und … natürlich gibt es wieder Noten zum Download, diesmal von David Holleber. Was das Ganze wohl mit Harry Potter zu tun hat? Das verraten wir euch weiter unten…

Viel Spaß beim Lesen,
Stefan & Willi

YOUTUBE-FUND DER AUSGABE
Alexandra Iranfar-Viloteau singt und spielt ein Lied von John Dowland

Das Besondere an den Songs von John Dowland ist, dass sie zeitlos klingen und auch im modernen Kontext bestens funktionieren. Und das trotz der Tatsache, dass sie bereits mehrere Jahrhunderte alt sind. Man denke nur an das Finale des Benjamin Britten Nocturnals, in dem Dowlands “Come Heavy Sleep” die vorangegangene Schlaflosigkeit überwindet, oder an das Dowland–Album “Songs from a Labyrinth” (2006) von Popstar Sting mit Lautenist Edin Karamazov.

Unser YouTube-Fund der Ausgabe nimmt dabei allerdings eine Sonderstellung ein, denn Alexandra Iranfar-Villoteau braucht als Gitarristin keinen Sting und als Sängerin keinen Karamazov: Sie spielt und singt gleichzeitig, was im klassischen Kontext selten, wenn nicht sogar sehr selten zu finden ist. Und sie tut beides auf sehr hohem Niveau, mit unglaublich viel Gefühl und spielerischer Leichtigkeit. Unsere Empfehlung der Woche!

NOTEN
David Holleber - Der verbotene Wald

Neue Horizonte: Jugendliche entdecken die Welt der Neuen Musik. Wir sind begeistert.

Heute wird es notentechnisch spannend. Bezugnehmend auf das heutige Know-how-Interview mit Reto Weiche haben wir ein Stück ausgewählt, das diesmal bewusst an eure Schüler*innen geht bzw. an alle neugierigen und experimentierfreudigen [email protected] für eine coole Idee. Ja, der Zugang zu Kompositionen der Neuen Musik, die sich erweiterter Spieltechniken bedienen und dem experimentellen Umgang mit Ton- und Geräuschmaterial zugewandt sind, ist häufig kein leichter. Nicht zuletzt, weil die Musik erst mal nicht als „harmonisch schön“ (wie definiert man das?) im traditionellen Verständnis daherkommt. Aber: Zu entdecken, herausgefordert zu werden und auszuprobieren, ist doch ein toller Treibstoff. 

Maximilian Mangold hat eine Reihe von Notenausgaben für Neue Gitarrenmusik für Jugendliche herausgegeben, die speziell auf das Niveau und die Bedürfnisse der jungen Musiker*innen zugeschnitten sind. Wie gut ist diese Idee bitte! Die Komponist*innen, die er auswählt, müssen einfühlsam und anpassungsfähig sein, um den Schüler*innen eine inspirierende musikalische Erfahrung zu bieten.
Jugendlichen die Möglichkeit geben, neue musikalische Horizonte zu erkunden und sich kreativ auszudrücken. Finden wir gut! 

Aus dieser Reihe hat uns und somit euch der Verlag Neue Musik das Stück „Der verbotene Wald“ von David Holleber zur Verfügung gestellt. David Holleber ist Komponist und Pianist mit einem Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit Laien- und Jugendensembles. Er arbeitet auch als Arrangeur für verschiedene Besetzungen und seine Werke wurden auf verschiedenen Festivals und Konzerten aufgeführt.

Worum geht's?

Der verbotene Wald ist ein geheimnisvoller Ort aus den „Harry Potter“-Büchern von J.K. Rowling. Die Schülerinnen und Schüler von Hogwarts dürfen ihn nicht betreten, dennoch müssen sie dies mehrmals tun. Der Wald ist voller Gefahren und magischer Wesen wie Bowtruckles und Riesenspinnen. In der Dunkelheit der Nacht durchqueren wir das undurchdringliche Dickicht des Waldes. Die Magie des Waldes ist allgegenwärtig, Bäume flüstern und seltsame Geräusche erfüllen die Luft. Eine unheimliche Atmosphäre umgibt den Wald, der die Besucher*innen in seinen Bann zieht und vor Gefahren warnt. Neue Musik kann also eine lohnende Herausforderung sein, die junge Musiker*innen nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich wachsen lässt.
Wir sagen: Prädikat „sehr wertvoll“

Viel Spaß beim Ausprobieren und Horizonterweitern (mit euren Schüler*innen!).

David Holleber:
davidholleber.com

Maximilian Mangold:
maximilianmangold-gitarre.de

ALBUM DER AUSGABE
Thibaut Garcia - “EL BOHEMIO” (2023)”

Für alle, die sich eine Extradosis Augustín Barrios Mangoré geben möchten, ist “El Bohemio” von Thibaut Garcia eine wahre Empfehlung. Die Platte beinhaltet mit 23 Stücken ein beachtliches Sammelsurium des paraguayischen Komponisten. 

Wusstet ihr, dass er neben seinen zahlreichen Eigenkompositionen auch das Adagio aus der Mondscheinsonate von Beethoven oder die “Träumerei” aus Schumanns Kinderszenen arrangiert hat? Uns wird beim Hören wieder bewusst, welch schöne Musik Barrios hinterlassen hat. Diese Schönheit wird durch die geschmackvollen Interpretationen Thibaut Garcias mehr als unterstrichen. Als kleines Schmankerl hört man als letztes Stück mit “Caazapá” eine originale Aufnahme des Meisters himself.

Nimm dir Zeit und lass dich in diese besondere Klangwelt entführen!

KNOW-HOW 
Neue Musik mit Reto Weiche

Sie ist ein weites Feld, das verschiedenste Stilistiken und Konstellationen beinhaltet. Doch manchmal fällt es schwer, einen Zugang zu ihr zu finden, weshalb wohl einige Gitarrist*innen eine eher distanzierte Beziehung zu ihr pflegen. Diese Distanz wollen wir versuchen, etwas zu verringern. Wir freuen uns, dass Reto Weiche einen Einblick in seinen Weg zur Neuen Musik und seine aktuelle Arbeit gibt. Er ist aus der jüngeren Neue-Musik-Generation kaum mehr wegzudenken. Mit Liebe zum Detail sucht er immer wieder nach neuen, auch unkonventionellen Formaten, Neue Musik einem breiteren Publikum näherzubringen. Komponist*innen haben bereits Werke für ihn geschrieben. Außerdem wirkte er bei zahlreichen Uraufführungen in verschiedenen Ensembles mit. 

Spannender Künstler und super Typ! Viel Spaß beim Know-how-Interview mit Reto Weiche.

Wie bist du zur Neuen Musik gekommen. Gab es einen Schlüsselmoment?

Ich glaube, es gab nicht den einen Schlüsselmoment, sondern ganz viele kleine, und es hat sich für mich irgendwie natürlich entwickelt. Ich weiß nur, dass der erste Moment, in dem ich aktuellere Musik nicht als Bullshit wahrgenommen habe, der Mutter meiner damaligen Freundin zu verdanken ist. Sie hat mir neben ihren Neue-Musik-Konzerten und -Projekten ab und zu ein paar “Warum eigentlich...” oder “Was ist das eigentlich”-Fragen gestellt. Danach waren alle Stigmata gegenüber aktueller Musik gefallen und übrig blieb ein riesengroßes Experimentierfeld, das nach und nach meine komplette Aufmerksamkeit und mein ganzes Interesse aufgesogen hat. Ich konnte nicht wirklich was dagegen machen, es hat mich halt immer total fasziniert, was Menschen für wilde Klänge aus ihren Instrumenten geholt haben und was heute Menschen für wilde Sachen aus dem Konzertformat gemacht haben. Heute kann ich mir es nicht mehr vorstellen, selbst ältere Musik ohne eine gewisse “Aktuelle-Musik-Brille” anzuschauen.

Was war dein spannendstes Konzert im experimentellen Kontext?

Schwierig, das ist ja alles so ein wahnsinnig weites Feld und viele Konzerte sind auf so viele verschiedene Weise super spannend und vielleicht auf andere Arten gleichzeitig auch total schlimm langweilig. In Erinnerung geblieben ist mir eine Solo-Performance eines Schlagzeugers in Basel, der es geschafft hat mit den simpelsten Ideen für mich komplett neue und super interessante Sounds zu entwickeln. Gleichzeitig hat er alles auch optisch total beeindruckend arrangiert. Zum Beispiel hatte er Mikrofone in großen Wasserbehältern installiert, die von unten beleuchtet waren. In das Wasser hat er dann nach und nach verschiedenfarbige Brausetabletten geworfen, deren Auflösen über die Mikros super groß und spannend klang (ich bin halt auch ein Riesenfan von so Granular-Sounds). So simpel, aber klanglich und optisch war es einfach genial. Am Ende hat er in kompletter Dunkelheit Knallerbsen auf ein mikrofoniertes Tamtam geworfen. Auch das total simpel, aber es klang super und war natürlich sehr spektakulär mit dieser Mini-Pyroeinlage. Oder meine erste Live-Erfahrung von John Cages “4min33”. Ich hab das vorher für einen genialen Gag gehalten, aber live war es dann ein total überraschendes Erlebnis, was mit der Wahrnehmung und Stimmung des Publikums passiert, wenn auf einmal Stille herrscht. Jede*r kennt diese unangenehmen Momente der Stille, und das gemeinsam zu erfahren, war schon spannend. Und die veränderte akustische Wahrnehmung war auch spannend: Man hört auf einmal Dinge, die man zuvor nie wahrgenommen hatte. Ein Brummen von einem Scheinwerfer zum Beispiel kann so differenziert sein und wird auf einmal zu Musik. Auch ein super simples Konzept, aber doch einfach genial.

Welches Stück hat die längste Vorbereitung benötigt und warum?

Ich hab natürlich nie wirklich Buch geführt, wie lange so Vorbereitungen brauchen und meistens sind sehr lange Vorbereitungsphasen ja nicht nur dem Stück geschuldet, sondern auch den äußeren Umständen und was man daraus machen will. Ich habe in jedem Fall Anfang Mai ein Stück aufgeführt, dessen Noten ich mir vor 18 Monaten das erste Mal angeschaut habe: Vinko Globokars “Elegie Balkanique" (Perc., Flöte, Git.). Das Stück ist zwar auch schon 30 Jahre alt (also eigentlich schon alte Musik), ist aber tragischerweise immer noch von großer Aktualität. Im Vorwort schreibt er, dass er nicht anders kann, als seinen Ekel vor der Menschheit im Angesicht des Jugoslawienkriegs musikalisch auszukotzen. Nach 2022 ging es uns genauso und wir wollten das gerne wieder aufführen. Dabei wussten wir schon, es gibt einige schwierige Stellen, aber je mehr wir geprobt haben, desto tiefer ging dieses Stück. Angefangen von der Recherche zu dem Stück, über das Herausarbeiten der drei Charaktere, die er explizit festlegt, bis hin zur Zusammenstellung des Setups und der technischen/künstlerischen Lösungsfindung. Vor allem aber die Aussage zu schärfen und den richtigen Ton für den Inhalt des Stücks zu finden, war dann doch sehr schwierig. Und dann hatte man seine eigene Stimme noch nicht geübt, was auch noch dazukam. Zusätzlich noch eine Veranstaltung organisieren und so weiter, da waren dann plötzlich 18 Monate rum, bis es endlich mal auf der Bühne stand. Auch weil wir alle jeweils ja noch viele andere Projekte permanent am Laufen haben, konnte man immer nur phasenweise Proben und dann werden Vorbereitungen für die Aufführung eines einzelnen Stücks plötzlich super langwierig. Generell ist es ja auch so, dass nach dem Studium gefühlt die meiste Zeit von Konzertvorbereitungen eigentlich außermusikalische Arbeit und Organisation ist. Und da ich das nie gelernt habe und einfach sehr schlecht darin bin, dauert das halt ewig bei mir und kostet viel Zeit und Nerven. Tatsächlich ist das Projekt immer noch nicht rum und die Vorbereitungen gehen quasi immer noch weiter: Wir werden jetzt ein neues Werk in Auftrag geben und einen kompletten Abend nur dieser Thematik widmen und um die “Elegie Balkanique” bauen. Und dann wollen wir natürlich nicht nur ein Konzert organisieren, sondern gleich mehrere. Also wenn ihr ebenfalls angesichts der Kriege und Gewalt der Menschheit ins Gesicht kotzen könntet, schreibt mir und lasst uns das gemeinsam organisieren. ;)

Was würdest du gerne gitarristisch Neues ausprobieren, was du noch nicht ausprobiert hast?

Also eigentlich besteht mein Job und ein bisschen auch mein Leben ja daraus, permanent Neues auszuprobieren. Das heißt, wenn ich etwas wüsste, was ich noch ausprobieren will, dann würde ich es jetzt gerade machen. Und das Schöne ist ja, dass man meistens noch nicht weiß, was die Muse für eine*n bereithält, und dann kommt eine Idee oder ein Stück fällt uns in die Hände, wo man eine Sache aus einem komplett anderen Blickwinkel betrachtet, und dann setze ich mich meistens direkt ran und probiere es aus. Gerade probiere ich mich in einem wilden Feedback-System zwischen den Pickups der E-Gitarre und Transducern, die das Signal wieder in Pickups leiten. Das ist mega spannend! Mir wurde ein Stück geschrieben, das auf diesem System fundiert, und es ist absoluter Wahnsinn, was da für eine Klangwelt aufgemacht wird.

Was würdest du im Leben Neues lernen, was du noch nicht kannst?

Wow, das könnte eine lange Liste werden. Angefangen dabei, besser Löten zu können, Tontechnik und geübter in MAX MSP zu werden, über bessere Skills in der Selbstvermarktung und leckerer kochen zu können bis hin dazu, Interview-Fragen genauer beantworten zu können. Gerade bin ich dabei, mir beizubringen, mir selbst die Haare zu schneiden. Das kann ich bisher noch nicht bzw. war ich immer zu eitel, um es mal auszuprobieren. Aktuell übe ich das noch und hoffe, dass ich es vielleicht einmal lerne.

Auf Retos Homepage findet ihr mehr zu ihm und seinen Projekten:
https://reto-weiche.de

GITARRE UND…
“Techno” – Eos Quartett spielt Jürg Kindle

Ja genau, es geht diesmal um ein Gitarrenquartett. Genauer genommen um das Eos Gitarrenquartett und einen Musikstil, den man so erstmal nicht mit der Gitarre verbindet: Techno. Gleichnamiges Stück von Jürg Kindle macht richtig Spaß beim Hören und offensichtlich: Die vier Gitarristen haben auch eine Menge Spaß beim Spielen.

Repetitive Loops, perkussive Elemente, Steigerung, Ausdünnen, durchgängiger Puls. Four to the Floor. Alles Elemente, die man von Techno eben erwartet, nicht aber von vier Gitarren. Ob das Stück clubtauglich ist, darf an dieser Stelle mal bezweifelt werden (Zwinkersmiley), aber darum geht’s ja auch nicht. Wir finden, es macht super gute Laune! Anschauen, mitnehmen lassen und genießen. Eine große Portion Spielfreude kommt obendrauf und man fragt sich, warum es nicht mehr solche Genre-Brüche Richtung elektronische Musik gibt.

OUTRO

Wir hoffen, du hattest Freude beim Lesen dieser Ausgabe. Feedback und Vorschläge gerne wie immer als Antwort-Mail auf diesen Newsletter. Wir freuen uns, von dir zu hören!

Es grüßen

Stefan & Willi

New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findest du unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Du kannst unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.