Ausgabe 7

In dieser Ausgabe: Alec Holcomb, Noten von Margaréta Lakner -Töredek, Das Album der Ausgabe von Flávio Nati, Know-How mit Open Strings Berlin und 100 Greatest Dance Hits

Hey!

Willkommen zu Ausgabe 7 unseres Newsletters. Wir staunen regelmäßig über die stetig wachsende Gemeinde und das positive Feedback und freuen uns, dass wir damit einen kleinen Beitrag zum Austausch über die klassische Gitarre beitragen können. Die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten, die das Instrument stilübergreifend bietet, ist und bleibt unserer Meinung nach fantastisch. 

In diesem Sinne starten wir die heutige Ausgabe mit einem Bluegrass-Klassiker von Jerry Reed, gespielt vom amerikanischen Griffbrettvirtuosen Alec Holcomb. Mit ihrer Miniatur „Töredek“ schenkt uns die ungarische Gitarristin Margaréta Lakner ein cooles Stück, das richtig Laune macht, zu spielen.

Eine komplette Einspielung von Tōru Takemitsu‘s Gesamtwerk an Kompositionen und Transkriptionen für Gitarre? Flávio Nati did it! Richtig starke Nummer! 

Danach geht’s um das Thema Musik/Gitarren-Video. Als Fanboys der ersten Stunde freuen wir uns diesmal ganz besonders über das Know-how-Interview mit Hendrik und Nico von Open Strings Berlin. 

Abschließend gibt es noch einen der 100 größten Dance-Hits – und das ist anders gemeint, als es auf den ersten Blick scheint…

Aber lest selbst!
Viel Spaß dabei
Stefan & Willi

YOUTUBE-FUND DER AUSGABE
Alec Holcomb spielt “The Claw” von Jerry Reed

Manche sagen zurecht, er sei einer der spannendsten jüngeren klassischen Gitarristen des nordamerikanischen Kontinents. Seine höchst geschmeidigen und starken Interpretationen von Stücken wie der “Grand Overture”, “Asturias”, der “Mozart-Variationen” und weiterer Highlights des Repertoires seien wärmstens empfohlen. Die Rede ist von Alec Holcomb, seines Zeichens klassischer Gitarrist aus den USA. Wir haben uns heute aber für ein Video entschieden, das mit Klassik nicht so viel zu tun hat. Außer vielleicht, dass Alec selbst unter dem Video schreibt, dass das Spielen des Stückes der Technik der rechten Hand sehr dienlich sei. 

„The Claw“ ist erst mal eine Bluegrass-Nummer von Jerry Reed. Original mit Band. Bei Alecs Solo-Gitarren-Version vermisst man aber die Band ganz und gar nicht. Er rast auch solistisch mit Leichtigkeit über die Saiten und fügt mit seinem feinen klassischen Ton noch eine Extra-Ebene Volumen und Brillanz hinzu. Klar, natürlich gibt es auch etliche Fingerstyle-Gitarrist*innen, die diese Musik bedienen können. Was uns jedoch ganz persönlich überaus gefällt, ist, wenn klassische Musiker*innen auch Stil-Fremdes spielen bzw. über den viel zitierten Tellerrand surfen. Und wenn es mit folgender Inspiration und Motivation geschieht umso mehr: 

„My Grandpa played bluegrass guitar with his family in West Virginia, and he was especially inspired by the music of Chet Atkins and Jerry Reed.“ 

Chapeau, Alec. Wir feiern’s!

NOTEN
Margaréta Lakner -Töredek

In der ersten Newsletter-Ausgabe hat uns die Komponistin des heutigen Stücks schon mit ein paar Tipps und Übepraktiken zum Thema “Tremolo” bereichert. Jetzt steuert Margaréta Lakner mit “Töredek” auch noch eine Miniatur zum Newsletter bei. Vielen Dank dafür an dieser Stelle!

Zum Dahin-Spielen und Fließen-lassen lädt dieses Stück förmlich ein. Wie ein festgehaltener Moment einer Improvisation. Ein Fragment – was einer Übersetzung von “Töredek” am nächsten kommt.

Es gibt viel zu entdecken, das können wir versprechen. Sei es die Findung der passenden Klangfarbe, die richtige Mischung zwischen Melodie und Begleitung oder die unendlichen Variationen dieser Parameter.

Wir empfehlen auch, die notierten Notenwerte etwas weniger wichtig zu nehmen. Geht einfach frei mit dem Notentext um. 

Margaréta hat schon durchhören lassen, dass sie eine vollständige Version von “Töredek” bereits in der Schublade hat. Wir freuen uns, wenn das vollendete Fragment seinen Weg nach draußen findet!

Viel Spaß beim Entdecken!

ALBUM DER AUSGABE
Flávio Nati: Tōru Takemitsu: Complete Works & Transcriptions for Solo Guitar

Takemitsus Kompositionen sind zweifelsohne ein Geschenk für die klassische Gitarrenwelt. Die hohe klangliche Sensibilität und die Genauigkeit seiner Kompositionen stellen die Interpret*innen vor eine enorme Herausforderung. Werden sie diesen Anforderungen jedoch gerecht, kann man sich als Zuhörer*in in Tagträumen verlieren. Der Einfluss französischer Musik bei Takemitsu ist verbrieft. Ebenso wie Popmusik, Jazz, die Musik der zweiten Wiener Schule und Filmmusik. Jedenfalls: Das Ineinanderklingen-lassen der Töne, Dissonanzen, das Schwingen und Reiben. All das erfordert höchste spielerische Fähigkeiten.

Flávio Nati aber hat nicht nur eine einzelne Interpretation aufgenommen, sondern einfach mal ALLE (!) Gitarre-Kompositionen von Takemitsu plus sämtliche Pop-Arrangements. Wahnsinnsvorhaben. Wunderschönes Ergebnis und damit auch ein Geschenk an uns als Zuhörer*innen.

Als sensibel gespielt und klanglich wunderbar flirrend empfinden wir dieses Album. Besonders Flavios Aufnahme von „Equinox“ hat es uns mit all seinen Klangfarben angetan, aber auch „All in Twilight“ ist zum Genießen oder „In the Woods“. Auch Takemitsus Songs for Guitar mit Gershwins „Summertime“ bis hin zu „Hey Jude“ von den Beatles sind auf der LP dabei. Alles gespielt mit wunderbarer Durchlässigkeit und klanglicher Tiefe.

Wir empfehlen: Sommerabend, Rotwein öffnen, Boxen an und Augen schließen. Genau das haben wir gerade auch getan. Danke Flávio!  

PS: Sollte die Nacht lang werden und es angenehm mild bleiben: Flávio hat auch eine LP mit Musik von John Duarte nachgelegt. Just sayin’…

KNOW-HOW 
mit Open Strings Berlin

Hendrik Schacht und Nicolas Haumann von Open Strings Berlin sind mit ihren Gitarrenvideos sicher den meisten schon bekannt. Der Mut, Dinge anders zu machen, besondere Locations einzubinden und außermusikalische Aspekte zu integrieren, steht für ihre Arbeit. Aber auch das gemeinsame Entwickeln von Ideen mit den Artists sowie die Interviews zu den aufgenommenen Stücken sind schon etwas sehr Besonderes. Seit vielen Jahren schaffen sie so einen Mehrwert für die Szene!

Wir sind sehr froh, dass die beiden die Zeit gefunden haben, uns ein paar Fragen zu beantworten. Für uns ist dies insofern eine ganz besondere Ausgabe, als dass wir Nicolas und Hendrik nicht nur menschlich unheimlich schätzen, sondern auch Open Strings Berlin Fanboys der ersten Stunde sind! 

1. Könnt ihr euch erinnern, wie die Idee zu Open Strings Berlin entstanden ist? Gab’s da einen initialen Moment oder hat sich die Idee entwickelt?

Also definitiv der erste Moment, in dem sich etwas in uns geregt hat, war, als wir Richtung Ende des Studiums Videos von uns gegenseitig machen wollten, um ein bisschen Werbung für uns zu machen.

Da haben wir im Bereich Klassische Gitarre die damals gängigen sozialen Netzwerke durchkämmt und uns gefragt: Warum sieht das alles so trist aus? Und dann haben wir ähnlich triste Videos von uns gegenseitig gemacht. Haha!

Aber die Erfahrung war wichtig, denn wir haben gemerkt, dass uns das Filmen total viel Spaß macht.

Ab dann ging eine kurze und intensive Ideensammlung in einer von Berlins ältesten Kneipen, der Bornholmer Hütte, los. Stichworte: Community / coole Leute auf einem Sender vereinen / Google Bildersuche -> Open Strings

2. Wie haben sich Gitarrenvideos die letzten 10 Jahre verändert (qualitativ, ästhetisch etc.)?

Wir wollen jetzt nicht die Qualität der Videos beurteilen. Alles, was wir sagen können, ist, dass der meiste Output, den die Gitarrenwelt oder vielleicht sogar die klassische Musikwelt so hatte, uns nicht angesprochen hat.

Also haben wir einfach unser Ding gemacht.

Nach und nach zu bemerken, wie unsere Ideen auch von anderen aufgegriffen wurden, war ein schönes Gefühl, und unserer Meinung nach wird mittlerweile doch in weiten Teilen mehr auf eine ästhetische Kohärenz zwischen Ton und Bild geachtet. Aber da ist schon noch Luft nach oben.

3. Was war euer verrücktester Videodreh? 

Wir haben so unglaublich viele lustige, beknackte Stories, dass es schwierig ist, eine herauszupicken, ABER: 

Wir waren mehrere Jahre zu Gast beim CaminoArtes-Gitarrenkurs mit René Izquierdo in Carrión de los Condes und haben im Jahr 2019 auch einen Trailer über das Festival gedreht. Tatsächlich ist das unserer Meinung nach einer der schönsten Orte für Gitarre allgemein und eine unvergleichliche Erfahrung. Das wollten wir einfangen.

Federico Sheppard, der Organisator und wilde Mann der Unternehmung, kennt und liebt die Besonderheiten der Region auf dem Jakobsweg wie kein anderer und so brachte er uns an einem der Tage mitten in der Siesta mit seinem Auto auf ein abgelegenes Feld, auf dem ein Schäfer mit seinem Esel die Schafe trieb. Ein wirklich besonderes Bild. Eine wirklich besonders heiße Tageszeit.

Freddy zeigte uns also den Ort und als wir ausgeladen hatten, sagte er: "Let me just quickly drive to the workshop (er ist auch Gitarrenbauer) and I'll pick you guys up in half an hour."

Zwei Stunden später waren wir immer noch dort. Spanien im Landesinneren zur Mittagszeit im August und ohne Bäume. Ohne Handyempfang. Ohne Wasser.

Das war sicherlich eine der ganz besonderen Erfahrungen und rückblickend auch unglaublich lustig, weil es so in das Gesamtbild dieser Zeit und dieses Kurses passte.

Die Bilder sind toll geworden und wir beide rot!

Die besonderen Momente passieren oft unerwartet. Nicolas und Hendrik in einer ungeplanten Drehpause in Spanien bei Mittagshitze mit Schäfer und Schafen. 

4. Könnt ihr eure Vision beschreiben und wie unterscheidet sie sich von anderen Videoplattformen?

Wir würden uns gerne gar nicht so sehr durch Abgrenzung definieren. Uns war immer total wichtig, dass wir mit den Leuten arbeiten können, die wir interessant finden, und dass es sich jeder leisten kann. Die ersten beiden Jahre waren wir komplett kostenfrei und seither müssen wir schon eine Kleinigkeit berechnen, um Aufwand und Kosten für uns aufzufangen.

Es fiel uns schon immer schwer, eine Sache zu vermitteln, die uns an Open Strings besonders wichtig ist: Die Community der Künstler*innen, die bei uns waren/sind. Ein Weg, das zu fördern, sind die Interviews, die wir nach Möglichkeit mit allen neuen Artists machen. Über andere Optionen machen wir uns derzeit Gedanken und werden uns bald mit News melden!

Ansonsten würden wir an dieser Stelle einfach nochmal auf die ästhetische Kohärenz verweisen wollen. Wir versuchen jedes Mal aufs Neue, Location, Artist, Stück und Gefühl zusammenzubringen.

5. Was ist euch bildästhetisch besonders wichtig und wie hat sich diese Vorstellung über die Jahre verändert?

Ein Video anzusehen, hat doch im schönsten Fall etwas von einem Kinobesuch.  Man taucht in eine Welt ein. Das funktioniert mit der Musik, die wir machen, doch genauso und ist der Anspruch, den wir als Musiker*innen haben. Menschen mitnehmen.

Wie soll das mit einem Video funktionieren, das einen in jeder Sekunde an die traurige Realität erinnert? Also wollen wir kleine Welten erschaffen, die dabei helfen, die Musik und das jeweilige Gefühl zu vermitteln. Das war auch irgendwo immer schon unser Anspruch, wir konnten es nur nicht so klar formulieren.

Der Look und alle anderen Entscheidungen, die das jeweilige Video betreffen, wurden von Anfang an im Gespräch mit den Artists herausgefunden und geformt. In unseren letzten Videos sind wir deutlich konzeptueller geworden und haben große Lust darauf, tiefer in diese Richtung vorzudringen.

6. Wie stellt ihr euch für die Zukunft auf, was ist geplant, was sind eure Visionen?

In allererster Instanz wollen wir mal wieder alle unsere Artists und Folgenden ansprechen und zusammenbringen. Open Strings Berlin hat einen starken und über den ganzen Globus verteilten Stamm an Freund*innen und Unterstützer*innen, bei denen wir uns bedanken wollen.

Mittelfristig wollen wir wieder einen regelmäßigeren Veröffentlichungsrhythmus verfolgen und langfristig auch neue Formate einführen. Hier schon zu viel verraten wollen wir aber noch nicht. Wir freuen uns auf jeden Fall erstmal wieder auf Kontakt zu unserer OSB-Family!

7. Wenn ihr einen Satz auf ein Plakat drucken lassen könntet, das in riesiger Auflage bei allen (klassischen) Musikfestivals der Welt hängen würde. Welcher Satz wäre das?

stay hydrated.

Mehr zu Open Strings Berlin via www.openstringsberlin.de

GITARRE UND…
Motorboot

Besetzung: Gitarre & Streichquartett
Titel: 100 Greatest Dance Hits
Satz: Nr. 4 “Dance Party on the Disco Motorboat” 
Inspiration: Eine 70er Jahre Musik- und Tanz-Fernsehshow namens Soul Train
What … Party, Tanzen, 70s? Streichquartett? Gitarre?
MOTORBOOT???
Braucht es mehr, um Neugierde zu wecken?
Ja? Ok!
Komponist: Aaron J. Kernis (Grammy- und Pulitzer-Preis-Gewinner)
Gitarrist: Mak Grgić

So, jetzt aber anschauen!!!

Was hinter 100 Greatest Dance Hits steht, hat Tim Smith für die Baltimore Sun übrigens mal so zusammengefasst: 

100 Greatest Dance Hits von Aaron Jay Kernis ist ein pikantes, freches Werk. Eine Art liebevolle Dekonstruktion von Popmusik-Idiomen, einschließlich Vintage-Easy-Listening, Disco und Salsa.”

OUTRO

Wir hoffen, ihr hattet Freude beim Lesen dieser Ausgabe. Feedback und Vorschläge wie immer gerne als Antwort-Mail auf diesen Newsletter. Was uns zum Beispiel sehr interessiert: Welche Komposition aus den ersten 6 Ausgaben habt ihr schon ausprobiert?  

Wir freuen uns, von euch zu hören!
Es grüßen
Stefan & Willi

New Classical Guitar ist ein Newsletter von Willi Leinen und Stefan Degel von TMBM. Unsere Musik und weitere Infos zu unserem Werdegang findest du unter t-m-b-m.com

Auf Spotify kuratieren wir eine Playlist mit unseren Lieblingsstücken. Du kannst unserer New Classical Guitar Playlist unter https://open.spotify.com/playlist/3ZwxJRAsW9Zs2JiS2eLy6a?si=9b2a737f01c043a4 folgen und uns gern neue Empfehlungen schicken.